Gustav Grundwein
Image may be NSFW.
Clik here to view.Erstaunlich, welch bislang verborgene Tatkraft doch in diesem Grundwein steckte. Während sie zu Hellemann und Maximiliano bereits umfangreiche Nachforschungen angestellt hatte, wusste sie von Grundwein noch nicht allzu viel. Er gehörte zu den bürgerlichen Absolventen der Pépinière, die nach ihrem Studium an der Schule unterrichteten und spielte wohl ab und an ganz gern Roulette. Zu dumm, dass ihre Tarnung als Andrew Downing nach dem Besuch der Pépinière aufgeflogen war. Doch zu spät. Zurück in Berlin würde sie umgehend Gustavs finanzielle Situation überprüfen, das hätte sie schon längst tun müssen. Spieler machten gerne Schulden und sie konnte es sich nicht erlauben, sich mit erpressbaren Leuten zu umgeben. Doch jetzt hieß es: schnell hinterher.
So gut es ging wischte sie sich mit dem Tuch, das Gustav ihr gereicht hatte, das Blut vom Kleid und hastete auf die dunkle Dorfstraße hinaus. Mit dem Knöchel ging es besser als befürchtet. Dicht auf ihren Fersen der treue Hellemann, der immer noch seine Kamera dabei hatte. Diese Neuerwerbung war sein ganzer Stolz: klein und handlich im Vergleich zu den umständlichen Apparaten, die sie von ihrem Fototermin in Berlin kannte.
„Grundwein, was haben Sie es denn so eilig, zum Pfaffen zu kommen? Sie können auch uns beichten!“ brummte Hellemann gutmütig und ließ seine Hand schwer auf die Schulter des kleineren Mannes niedergehen.
Statt einzubrechen nahm dieser jedoch Haltung an, streckte das Kinn raus und funkelte den großen Fotografen an „Ich bin nun mal sehr religiös! Nach unseren Erlebnissen im Wald verspreche ich mir die Wiedererlangung meiner Contenance von einem Gespräch mit dem Pastor.“
Es war aber nicht Grundweins Berufung auf sein Seelenheil sondern Hellemanns Charme, der ihnen den Weg zum Pastor an seiner Haushälterin vorbei frei machte. Als dieser schließlich den Raum betrat, hielt Adele unwillkürlich die Luft an. Woher kannte sie dessen Gesichtszüge nur? Neugierig begann sie mit Luchsaugen die Wände nach Bildern und Hinweisen auf den Mann hinter der Robe abzusuchen.
„Wilma, bring uns doch bitte etwas zu trinken!“ So ruhig sich der Pastor anhörte so blass war er doch, sein Gesicht eingefallen, als würde etwas an ihm zehren. Den Mediziner Grundwein störte das wenig, schon schnatterte er los von ihren Reiseerlebnissen. Irritiert runzelte der Pastor die Stirn „Wie mir scheint wurde Euch übel mitgespielt. Schrecklich, was dem armen Paul widerfuhr. Aber Geister gibt es natürlich nicht“. Seine Hand zitterte, als er Adele ihr Glas reichte. Ihr Blick blieb an einem großen Siegelring hängen, den ein kompliziertes Wappen mit einem Greif zierte. Und dann fiel es ihr wie Schuppen von den Augen. „Entschuldigen Sie, Herr…?“ „Hans von Riepenbreuch, ich hatte mich ja noch gar nicht…“ „Blitz Donnerkeil“ entfuhr es Hellemann „Von Riepenbreuch?“
Johan von Riepenbreuch und Lydia von Stein
Der verdatterte Pastor bat Wilma um Schnaps, als er hörte, sie seien Freunde von Johan, die auf der Suche nach ihm wären. Eine von Adeles kleinen Notlügen, die ihr einen tadelnden Blick von Grundwein einbrachte. Hellemann, der manchmal unglaublich begriffsstutzig sein konnte, war sie glücklicherweise noch rechtzeitig auf den Fuß gestiegen, bevor er Einspruch erheben konnte „Lange Zeit habe ich nun schon nichts mehr von ihm gehört. Lediglich von seinem Duell mit Alexander von Karnbaum haben wir noch erfahren. Er telegrafierte mir, dass er Berlin verlassen würde und ich mir keine Sorgen um ihn machen solle, aber natürlich war mir bange zumute. Die von Karnbaums sind einflussreiche Leute und nahmen den Tod ihres Erben nicht auf die leichte Schulter.“ Aus dem Büffet holte er die Schnapsflasche hervor, Adele erspähte eine bunte Sammlung an Unterlagen, Kerzen und etwas Funkelndes. Als er Adeles Blick bemerkte, knallte er die Tür schnell wieder zu. Da hatten sie doch tatsächlich Johans älteren Bruder gefunden – mehr als die Reisegesellschaft zu hoffen gewagt hatte. „Ich dachte, er wäre schon lange tot“ unterbrach Hans sichtlich erschüttert ihren Gedankengang, „was können Sie mir von ihm erzählen?“ Während Adele dem Pastor Einblick in Johans Londoner Jahre gab, so gut sie über diese eben Bescheid wusste, driftete der ältere Mann sichtlich ab. „Ach, mein armer Bruder. Und wir wissen bis heute nicht, was damals eigentlich mit Lydia geschah…“ „Lydia?“ Der Pastor lief nun auf und ab, vor der Uhr blieb er einen Augenblick stehen und drehte sich wieder zu ihnen „Seine Geliebte, die Alexander von Karnbaum versprochen war. Sie war der Auslöser für einen großen Familienzwist und vermutlich auch Grund für Johans irrinniges Duell!“ Auffordernd sah er sie nun an „Doch Sie müssen mich nun entschuldigen. Ich möchte mich gerne zurückziehen. Die Erinnerungen an Johan wühlen mich immer noch auf.“
Geheimnisse im Pastorenhaus
Grundwein sah erleichtert und zufrieden aus, als sie die Stufen hinabstiegen. Hellemanns Magen dagegen knurrte laut „So ein Zufall! Wer hätte gedacht, dass Johans Bruder Pastor hier ist. Da haben wir uns doch jetzt ein ordentliches Abendmahl verdient, meinen Sie nicht auch?“, doch Adele schritt ums Pfarrhaus herum statt zum Gasthaus zurückzukehren. „Haben Sie bemerkt, wie nervös Hans von Riepenbreuch wurde, je länger wir blieben? Da stimmt etwas nicht. Ich beobachte das Haus noch eine Weile!“
Wird Adeles Spürnase recht behalten? Hat der Pastor ihnen etwas vorenthalten? Was weiß der Bruder von Johan noch über seinen Verbleib? Und wie einflussreich waren die von Karnbaums wirklich?